Sog aus der Vergangenheit: Wenn wir auf etwas aufmerksam gemacht werden
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Vielleicht kennst du diese Träume, die so eindrücklich sind und dich emotional mitreißen, dass sie dich den ganzen Tag nicht loslassen. Genau so einen Traum hatte ich neulich. Er hielt mich den ganzen Tag wie in einer Nebelwolke gefangen. Es war nichts Unbekanntes: Mein erster Freund tauchte auf, Menschen, die mich damals kannten, eine Situation voller tiefer Verbundenheit – genau wie es vor vielen Jahren war. Und dann wiederholte sich das, was damals geschah: Er entfernte sich kommentarlos von mir.
Diese Verletzung hat mich damals tief getroffen, und ich habe sie nie wirklich verstanden. Und jetzt, nach über zwanzig Jahren, kommt es in Form eines Traum zurück, begleitet von einem starken Sog in Richtung dieses Mannes. In die Vergangenheit oder in eine mögliche Zukunft? Plötzlich stellten sich mir Fragen: Wo ist er? Was macht er? Wie wäre es, wenn wir uns heute wiedertreffen würden?
Wenn die Vergangenheit einen einzuholen scheint
Diese tiefe Verletzung und Ablehnung von damals habe ich viele Jahre verdrängt. Klar, ich wusste um diese Geschichte und habe mich bewusst damit auseinandergesetzt. Aber heute frage ich mich: Sind da vielleicht noch Reste, die erst jetzt verarbeitet werden können? Ist es vielleicht genau jetzt an der Zeit, dass mein Unterbewusstsein diese alte Wunde heilen lässt?
In meinem Traum tauchten am Ende Essensreste auf. Laut Traumdeutung könnten sie symbolisieren, dass noch etwas „verdaut“ werden muss. Und tatsächlich war es in diesem Traum am Ende so: Er distanzierte sich erneut, doch diesmal war es für mich okay. Ich konnte es akzeptieren und verstehen. Vielleicht ist das wirklich ein Zeichen dafür, dass etwas sehr Altes und Tiefes gerade am Abheilen ist.
Wir alle kennen diese Momente, in denen uns alter Schmerz einholt – in Bildern, Emotionen oder Reaktionen. Viele Menschen setzen alles daran, diese alten Dinge nicht zu sehen oder zu fühlen. Doch ich habe die Erfahrung gemacht: Man kann den Keller mit all den verdrängten Emotionen füllen, aber irgendwann wird er überlaufen. Und dann platzt es heraus.

Du bist dir am nächsten – warum vertraust du dir nicht?
Wenn ich mit anderen über solche Themen spreche, begegnet mir oft eine Abwehrhaltung. Viele wollen sich nicht mit alten Gefühlen oder Erinnerungen auseinandersetzen, weil es schmerzhaft ist. Neulich sprach ich mit einer Bekannten darüber. Sie meinte: „Ich will das nicht, weil es weh tut.“ Ich weiß nicht genau, welche Geschichte sie verdrängt, aber mein Eindruck war, dass sie sie schon sehr lange mit sich trägt und mit verschiedenen Bewältigungsstrategien versucht, sie zu unterdrücken.
Ich habe sie gefragt: „Was soll denn passieren?“ Klar, es wird erstmal unangenehm. Man fühlt sich melancholisch, traurig – aber man hat es endlich mal rausgelassen. Ich nenne das gern Heilungsschmerz. Wenn wir jahrelang etwas unterdrückt haben und dann loslassen, kommt es erst richtig an die Oberfläche. Aber danach? Danach wird es leichter. Vielleicht kennst du das: Die Anspannung vor einer wichtigen Prüfung oder einem Vorstellungsgespräch – und danach die riesige Erleichterung.
Das heißt nicht, dass es einfach ist. Aber vielleicht hilft dieses Bild zu verstehen: Wenn wir aufhören, altes Zeug festzuhalten, schaffen wir Platz für Neues. Klar, je nach Thema kann es komplexer sein, und manches sollte professionell begleitet werden. Aber warum vertrauen wir uns selbst so wenig? Warum vermeiden wir es, hinzuschauen? Warum nicht einfach sagen: Es war so. Ich akzeptiere es, auch wenn ich es nicht verstehe.
Unser Kontrollverhalten möchte alles analysieren, verstehen, festhalten. Unser Ego und unsere Angst wollen uns vor weiteren Wunden schützen. Doch genau diese Kombination sorgt für noch mehr Schmerz, Widerstand und Kampf. Unreflektiert rennen wir weiter oder ziehen uns immer mehr zurück. Und das in ist aus meiner Sicht schade.
Heilungsschmerz – die Erleichterung
Es war für mich ein langer Prozess, zu erkennen, dass ich nicht zum Weinen in den Keller rennen oder meine Emotionen verstecken muss. Aber genau deswegen weiß ich, wie wichtig es ist, sich solchen Dingen zu stellen.
Falls du jetzt denkst: „Wo soll ich nur anfangen?“ – dann stelle ich dir die Gegenfrage: Ist es überhaupt wichtig, wo? Wenn alles wichtig ist, dann fang einfach irgendwo an. Nimm das Erste, das dir in den Sinn kommt. Zähle bis drei: 1, 2, 3 – und los! Schreib es auf. Schreib einfach alles runter, bis nichts mehr kommt. Leere diesen Erinnerungstank. Bring es in eine andere Form – auf Papier, in Worte. Stell es dir wie eine Leinwand vor, auf der du eine Geschichte erzählst. Vielleicht eine schmerzhafte, aber eine, die zu dir gehört und die beginnen kann zu heilen.
Vielleicht macht uns genau das menschlich? Wir werden geboren, wir werden sterben, und dazwischen erleben wir eine riesige Bandbreite an Emotionen und Erfahrungen. Manche sind so heftig, dass wir sie tief in uns einsperren, bewusst oder unbewusst.
In spirituellen Kreisen heißt es oft: „Hinter allem steckt eine Lektion oder ein Geschenk.“ Aber wenn ich mir anschaue, was aktuell in der Welt passiert, dann denke ich mir: Kollektiv haben wir da noch nicht viel gelernt. Vielleicht besteht die wahre Lektion manchmal einfach darin, loszulassen, Raum für Neues zu schaffen und nicht an der Vergangenheit festzuhalten.
Finde deinen Ausdruck, verarbeite, inspiriere
Jeder Mensch hat seine eigene Art, Schmerz zu verarbeiten. Ein starkes Beispiel ist Shore, Stein, Papier. Er war in der Drogenszene, hat dann angefangen, darüber zu sprechen, ein Buch zu schreiben und mit seinen Erfahrungen durch Deutschland zu touren. Er hat gesagt, dass das alles seine Therapie war – seine Art, das Erlebte zu verarbeiten. Und genau dadurch hat er anderen geholfen, nachzudenken, Tabus zu brechen, Alternativen zu finden.
Jeder hat seine eigenen Strategien, um mit Schmerz umzugehen. Doch wenn wir bereit sind, ihn zu akzeptieren und loszulassen, können wir nicht nur uns selbst helfen, sondern auch anderen neue Wege aufzeigen, andere Perspektiven.
Zusammenfassung:
Alte Geschichten holen uns immer wieder ein. Wenn wir jedoch Widerstand spüren und destruktiv reagieren, um alles schnell wieder zu vergessen, dürfen wir uns fragen: Wollen wir wirklich etwas verändern?
Finde deinen Ausdruck. Bring Bewegung in das, was du festzuhalten versuchst. Erschaffe daraus etwas, das andere inspiriert. Wir alle sind gleichzeitig Schüler und Lehrer unseres eigenen Lebens. Und es wäre doch schade, wenn dieses Wissen einfach untergeht, nur weil wir Angst haben zu heilen.
Wenn dich dieser Beitrag zum nachdenken angeregt hat, dann freue ich mich über einen Kommentar von Dir.
Liebe Grüsse,
Nicole
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